– unter Berücksichtigung von Babyzeichen –
Vor der eigentlichen Sprachentwicklung stand schon immer, nicht nur in der Stammesgeschichte (Phylogenese) des Menschen, sondern auch in der Entwicklung des Einzelnen (Ontogonese), die Geste bzw. das Zeichen.
Häufig wird jedoch angenommen, dass Kinder erst anfangen zu kommunizieren, wenn sie beginnen zu sprechen, also die ersten Worte sagen (meist zwischen dem 9. und 15. Lebensmonat). Die wenigsten Eltern erinnern sich jedoch daran, wann der eigene kleine Racker zum ersten Mal bewusst auf etwas gezeigt hat.
Gwyneth Doherty-Sneddon, Professorin für Psychologie an der Universität Newcastle, macht hierbei darauf aufmerksam, dass viele frühe nicht-verbale Signale bereits vor dem ersten Sprechen auftreten und bedeutende Indikatoren für das wachsende Verständnis von Kindern bzgl. ihrer Umwelt sind und daher nicht unterschätzt werden sollten.
Bereits neugeborene Babys machen durch Laute (z.B. Weinen), Körpersprache, Mimik und erste unbewusste Zeichen auf ihre Bedürfnisse (z.B. Hunger) aufmerksam. Durch die Interaktion (Augenkontakt, Kuscheln, Singen, Spielen, Lachen, Trösten) mit ihren engsten Bezugspersonen nehmen sie nicht nur sich selbst und ihre Umwelt Schritt für Schritt wahr, sondern merken, dass man mit dieser auch direkt in Kontakt treten kann, um sich entweder mitzuteilen oder durch die andere Person, nützliches und interessantes Wissen zu erfahren.
das soziale Miteinander
Der soziale Kontakt, welcher durch Interaktion, vorerst mit seiner direkten Umwelt (Familie), stattfindet, ist für das Baby oder Kleinkind daher ein fundamentaler Grundstein für die weitere kognitive, soziale und emotionale Entwicklung.
Laut Lew Wygotsky, Begründer der soziokulturellen Theorie zum Spracherwerb, sind Denken und Sprechen untrennbar miteinander verknüpft und neben internen Faktoren (biologische), abhängig von der Interaktion mit Anderen.
Dies macht sich bereits früh bemerkbar und zwar dann, wenn Babys anfangen, bewusst mit dem Zeigefinger auf Dinge zu deuten (Zeigegeste), was meist zwischen dem 9. und 12. Monat stattfindet. Die Aufmerksamkeit der Erwachsenen wird durch den Fingerzeig auf äußere Dinge gelenkt, um entweder über diese zu informieren („Ich weiß, dass das ein Apfel ist!“) oder sich Informationen einzuholen („Was ist das?“).
Babys, die Handzeichen benutzen, erhöhen so die Wahrscheinlichkeit, ein besseres Sprachfeedback von ihren Eltern/Bezugspersonen zu bekommen in genau jenem Moment, in dem sie neugierig und aufnahmefähig sind (vgl. Iverson/Goldin-Meadow 2005; Olson/Frank Rasur 2013). Angebotene Zeichen (Bitte niemals unter Druck!), werden ganz nach den Interessen des Kindes entweder mit großer Freude angenommen oder schlicht ignoriert.
Die Kommunikation durch Babyzeichen greift somit entwicklungsphysiologische Tatsachen auf und nutzt die Möglichkeit von Babys und Kleinkindern sich über Mimik und Gestik zu verständigen, um ihr früh vorhandenes Mitteilungsbedürfnis zu erfüllen.
Phasen des kindlichen Spracherwerbs
Geburt – 3 Monate
- Erschrecken bei lauten Geräuschen
- Durch Mimik und Bewegung von Armen, Beinen und Fingern werden unterschiedliche Emotionen (Hunger, Freude, Bereitschaft zum Spielen) gezeigt.
- Unterschiedliches Weinen für bestimmte Bedürfnisse
- Erkennung von vertrauten Stimmen (lächelt oder beruhigt sich wenn angesprochen)
4 – 6 Monate
- Bewegung der Augen in die Richtung von Geräuschen
- >Reagiert auf Veränderungen in der Intonation (z.B. erkennen von „Nein!“)
- Beginn der Lall-Phase (Lallmonologketten aus einfachen Silben)
- Nimmt Spielzeug wahr, dass Geräusche macht und hat Spass an Musik und Rhythmus
- Fasziniert oder besorgt von Haushalts- (Waschmaschine, Toaster, Staubsauger…) und anderen Geräuschen (Vogelgesang, Hundebellen, Trip-Trap von Hufen)
7 – 12 Monate
- Schaut und bewegt sich in die Richtung von Geräuschen
- Feinmotorik entwickelt sich und es lernt nach Dingen zu greifen (etwas von einer Hand in die andere legen, in die Hände klatschen)
- Dinge werden wiedererkannt (Versteckspiele sind sehr beliebt. Bsp. Kuckuck, wo bin ich?)
- Erkennen von verschiedenen Tonlagen und -höhen (es weint, wenn man mal schimpfen muss)
- Benutzt Gesten, um sich mitzuteilen (mit dem Finger auf Dinge zeigen (Zeigegeste), Winken, Arme ausstrecken, um hochgehoben zu werden)
- Imitation unterschiedlicher Sprachlaute („ma“, „pa“)
- Beginnt Onomatopoëtika, also Lautmalereien („wauwau“, „tiktak“) zu produzieren
- Hört zu, wenn angesprochen und erkennt seinen Namen
- Verstehen von einfachen, alltäglichen Worten (Tasse, Schuhe, Buch, Milch)
- Verstehen von einfachen Anweisungen und Fragen („Bring mir bitte den Ball“, „Möchtest du noch mehr Wasser?“)
- Erste Worte wie „Mama“ und „Papa“
12 – 24 Monate
- Jeden Monat erweitert sich der Wortschatz um einige Wörter
- Verwendung von Ein- oder Zweiwortfragen („Wo Auto?“, „Was das?“)
- Beginn der Zweiwortsätze („mehr Wasser“, „Mama Buch“)
- Kann einige Körperteile benennen
- Versteht einfache Aufforderungen und Fragen („Gib mir bitte den Ball!“, „Wo ist deine Mütze?“)
- Benennt nach Aufforderung Dinge in Bilderbüchern
- Hört interessiert einfachen Geschichten zu und liebt Kinderlieder und Reime, gerne auch zum hundertsten Mal
Literaturverzeichnis
- American Speech-Language-Hearing Association (ASHA): How Does Your Child Hear and Talk? Birth to One Year.
- Atkinson, Dwight (2011): Alternative Approaches to Second Language Acquisition. Rutledge, London, New York.
- Bowen, C. (1998). Ages and Stages Summary: Language Development 0-5 years.
- Bundesministerium für Bildung und Forschung (kurz BMBF; Hrsg.) (2008): Bildungsforschung Band 29/II. Referenzrahmen zur altersspezifischen Sprachaneignung – Forschungsgrundlagen. S. 1-354. pdf.
- Doherty-Sneddon, Gwyneth (2003): Children’s Unspoken Language. Jessica Kingsley Publishers. London, New York. (der deutsche Titel ist: Was will das Kind mir sagen. Die Körpersprache des Kindes verstehen lernen)
- Iverson, Jana M.; Goldin-Meadow, Susan (2005): Gesture Paves the Way for Language Development. American Psychological Society, Vol. 16/5, S. 367-371. pdf.
- Lange, Benjamin (2017): Spracherwerb. Seminar: Kommunikations- und Medienpsychologie. Uni Kassel. pdf.
- Olson, Janet; Frank Masur, Elise (2013): Mothers respond differently to infants’ gestural versus nongestural communicative bids. First Language Vol. 33(4), S. 372-387. pdf.
- Schäfer, Gerd E. (2001): Prozesse frühkindlicher Bildung. S. 1-118. pdf.